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Nicht nur eine Schraube...
...sondern
gleich die ganze Maschinerie: Der Schauspieler-Regisseur
Adolfo Assor und sein Garn Theater, das er seit zehn
Jahren im Alleingang betreibt - ein Porträt
Von Hartmut Krug
"Es wäre
schlimm für mich, nicht auf der Bühne zu stehen. Ich
habe das Gefühl, wenn ich nicht auf der Bühne bin,
werde ich sofort krank." Adolfo Assor steht
unentwegt auf der Bühne, die ersten drei Wochentage in
seinem Garn Theater in Kreuzberg, die restlichen vier
beim Teatr Kreatur am Tempelhofer Ufer. Seit zwölf
Jahren durchlebt der chilenische Schauspieler die Höhen
und Tiefen freier Theaterarbeit in Berlin. "Jeder
normale Schauspieler hätte schon längst das Handtuch
geworfen. Daß ich das weitermache, das ist schon
eigenartig. Das ist wohl meine Besessenheit."
Dabei fing alles
eigentlich ganz harmlos an, damals in einer kleinen Stadt
im Süden Chiles, als der 15jährige Adolfo (Jahrgang
1945) seinem älteren Bruder in dessen Theatergruppe
folgte. Die Atmosphäre gefiel ihm, er machte gern den
Theaterabreißer und Helfer für viele Dinge, doch auf
die Bühne wollte er nicht. Adolfo Assor wollte Arzt
werden. Doch dann kam eine Theatergruppe aus der
Hauptstadt mit einem wunderbaren Darsteller zum
Gastspiel, und es war um ihn geschehen. "Da wurde
ich obsessiv." Da es kein festes Theater in seiner
Heimatstadt gab, studierte er ein Solo ein: "Über
die Schädlichkeit des Tabaks" von Tschechow.
Adolfo Assor
lacht sein offenes, warmes Lachen und zündet sich eine
Zigarette an, während er von seinen Anfängen als
Schauspieler erzählt. Als 17jähriger Autodidakt gleich
einen alten Mann zu spielen - ein Wagnis. Bei der
Premiere in der Universität vor 300 Studenten lief es
mehr als gut, Riesenjubel. Am nächsten Tag aber der
Absturz. Eine Aufführung vor Zuschauern eines
Elendsviertels ging gewaltig schief. Gleich zu Beginn
also hat Adolfo Assor die Extreme des Schauspielerlebens
kennengelernt. Danach hat er 20 Jahre lang Theater
gespielt, hat etliche Theatergruppen mitgegründet, ist
jahrelang auf Tournee durch die Städte und über die
Dörfer gezogen und hat die letzten acht Jahre in Chile
in seinem eigenen Theater viele Solostücke gespielt.
"Ich war ein
sehr nüchterner Mensch, der schwer in Kontakt zu anderen
kam. Durch die Solos platzte das alles aus mir raus. Ich
machte die Erfahrung, daß man sich nur mit anderen
Menschen verstehen kann, wenn man mit sich selber
sprechen kann." Monologe als Selbstgespräche, die
den Kontakt zum Publikum bauen: Assor hat in Berlin das
Monologtheater zu seiner ganz eigenständigen Form
entwickelt. Sicher auch aus ökonomischen Gründen: Nur
zeitweilig hat er sich Mitspieler leisten können,
staatliche Förderung hat er noch nie bekommen. Also
spielt er manche Stücke seit Jahren, nimmt sie immer
wieder neu auf: Dostojewskis "Der Traum eines
lächerlichen Menschen" (416mal gespielt), Kafkas
"Ein Bericht für eine Akademie" (400mal),
Kafkas "Brief an den Vater" (238mal) und
Ionescos "Intermezzo" auch schon fast 160mal.
Das sind die Erfolge unter seinen bisher zwanzig
Inszenierungen.
Adolfo Assor hat
es nicht leicht gehabt, als er im Februar 1986 als Gast
des Internationalen Theaterinstituts und des
Goethe-Instituts für drei Monate nach Deutschland kam,
um das hiesige Theatergeschehen zu studieren. In Chile
hatte er zunächst "etwas im Bereich
Elektronik" studiert, um nicht abhängig vom Theater
zu werden. Doch das war er nach seinem Schauspielstudium
längst. Der Beginn am Staatstheater Kassel, wo er als
Regieassistent hätte bleiben können, befriedigte ihn
nicht: "Ich mag nicht nur eine Schraube sein."
Jetzt ist er die ganze Maschinerie: Schauspieler,
Theaterleiter, Beleuchter, Reinigungsmann, Bühnenbildner
und vieles mehr in seinem Garn Theater. Das ist ein
Kellergewölbe in der Kreuzberger Katzbachstraße, das er
aus einer vollgemüllten Bruchbude zu einem kleinen
Theater selbst ausgebaut hat.
Geholfen hat ihm
anfangs eine Rolle in einem DEFA-Fernsehfilm mit Rolf
Hoppe: "Melanios letzte Liebe" hieß der, und
Adolfo spielte einen chilenischen Revoluzzer. Sein
Ost-Honorar legte er ganz naiv in Material fürs Theater
an: Und so schleppte er Werkzeuge und elektronische
Gerätschaften, ja selbst eine riesige Rolle schwarzen
Tuches von Ost nach West ...
Adolfo Assor hat
sich aus den Zwängen des freien Theatermachers immer
wieder selbst befreit. Erkauft hat er das mit einem
"fast mönchischen Leben", dem Verzicht auf
vieles. Adolfo Assor lebt erst ganz auf der Bühne. Der
im Gespräch so sanfte Mann ist ein Schauspieler von
expressiver Kraft. Die Augen blitzen, die Hände fliegen
durch die Luft, als wollten sie die Wörter formen und
die Sätze gliedern. Assor ist dabei nicht eigentlich ein
Körper-Schauspieler, sondern eher ein Sprech-
Darsteller. Er gestaltet durch Sprache, was Schwung hat,
manchmal Überschwang. "Ich habe eine Form
entwickelt, bei der ich viel mit dem Zuschauer spiele,
ohne ihn zu sehr gegen die Wand zu spielen. Ich
provoziere ihn ein bißchen, dann gehe ich weiter zum
anderen - diese Kommunikation ist sehr schön". Und
sie funktioniert, weil ins Garn Theater bei viel gutem
Willen 50 Zuschauer passen, durchschnittlich aber etwa 20
kommen. Assor mag es so, weil das Spiel durch die
Konzentration auf die auf engstem Raum vor ihm sitzenden
wenigen Zuschauer an Intensität gewinnt.
Wenn der
Darsteller in "Anti- Poesie", einem
zweisprachigen Abend nach den Gedichten des chilenischen
Poeten Nicanor Parra, im Habit eines armen Poeten hin und
her springt, tänzelt und tanzt und dabei die Verse des
Poeten in ebensolche Bewegung bringt, dann ist da eine
ganz eigene, eigenartige Poesie im Raum. Man versteht
nicht alles, doch selbst die der deutschen Version stets
vorausgehende spanische Fassung der Gedichte besitzt
einen klingenden Reiz.
Assor begeistert
durch seine eigene Begeisterungsfähigkeit. Es ist nicht
die Art Schauspielerei, die ich eigentlich liebe, und
doch zieht mich dieser poetisch aufgedrehte Darsteller in
seinen Bann. Sein Akzent, der ihm anfangs in Berlin so
viele Schwierigkeiten gemacht hat, daß ihm die
etablierten Theater verschlossen blieben, er stört
nicht, sondern er verfremdet das Spiel aufs reizendste.
Er nimmt dem Spiel die vom Schauspieler oft anvisierte
existentielle Schwere, bringt es im besten Fall in ein
leichtes Schweben.
Zwölf Jahre ist
Adolfo Assor in Berlin, und manchmal hat er bereut, nicht
als Regieassistent in Kassel geblieben zu sein. Die
ersten Jahre zog er durch die freie Theaterlandschaft,
später spielte er im Atelier für Internationale Kunst:
um halb neun Gogols "Tagebuch eines
Wahnsinnigen", anschließend Kafkas "Bericht
für eine Akademie". Zwei Monate lang, Tag für Tag
vor zwanzig Plätzen.
Seine erste
eigene Bühne, eine ehemalige Änderungsschneiderei in
Neukölln (fünf mal fünf Meter groß), bekam den Namen
Garn Theater. Als er, wegen Schwierigkeiten mit Mietern
des Hauses, nach rund zwei Jahren auszog, folgte eine
Zeit, die von einer mehrmonatigen Spanien-Tournee und
stetem Wechsel der Berliner Spielstätten geprägt war.
Mit dem Keller in der Katzbachstraße kam die
Kontinuität ohne große Ansprüche: "Eigentlich
kann man davon nicht leben, aber ich habe es
gemacht." Ein bißchen Synchronisation hier, ein
paar Filme aus Spaß dort: Immerhin 17 sind es schon,
ohne daß Assor damit Reichtümer erworben hätte.
"Film ist ein Bereich, in dem ich mich wohl fühle.
Das entzückt mich einfach, vor der Kamera zu stehen. Ich
sehe nicht nur das Mechanische, ich lebe vor der
Kamera." Deshalb will Adolfo mehr Filme drehen, in
Kürze spielt er "einen philosophischen Penner"
in einem Film von Detlef Buck.
Gegen die auch
empfundene Einsamkeit des Solisten rettete sich Assor
immer wieder in Projekte: im Podewil oder beim
Rudimentär Theater. Bei einer solchen Aufführung hat
ihn jemand vom Teatr Kreatur gesehen, und dann kam Andrej
Woron gucken ins Garn Gheater. Über zwei Jahre arbeitet
Assor schon mit Woron, er hat große Rollen in "Der
Prophet Ilja" und in "Merlin" gespielt,
hat aber auch in der gründlich mißlungenen Produktion
des Teatr Kreatur mit dem Regisseur Lilienthal in Weimar
mitgewirkt. "Stadelmann" um Goethes versoffenen
Diener hat die Truppe zu Recht nicht nach Berlin
übernommen.
Mittlerweile will
sich Assor wieder mehr auf sein eigenes Theater
konzentrieren. Bis zum Jahr 2000 will er auf jeden Fall
durchhalten, dann möchte er eine mehrjährige
Lateinamerika-Tournee machen. Gegen einen Mitstreiter im
Garn Theater hätte er nichts, wünscht ihn sich sogar:
Doch wer setzt sich solch "mönchischem" Leben
in Zeiten der gutbezahlten Sitcoms schon aus.
Dabei steckt
Assors Begeisterung an, der Mann jammert nicht: Er liebt
das Theater. Demnächst kommt ein Gegenwartstext heraus
von P.M. Waschkau: "Die Galeere der
Kaltblüter"; aber dann greift Assor wieder zum
bekannten existentiellen Text: Dostojewskis "Der
Großinquisitor" soll es sein. Theater muß sein,
das ist das Credo von Adolfo Assor. Nicht aus all den
äußerlichen Gründen, aus denen dieser Slogan vom
Deutschen Bühnenverein geprägt wurde. Das Theater ist
die Lebensdroge von Adolfo Assor, und der Zuschauer
spürt jeden Augenblick: Hier ist einer ganz bei sich,
weil er uns etwas sagen will.
Garn Theater,
Katzbachstr. 19, Kreuzberg, Tel. 7864346
Bemerkung:
Rezension
TAZ-BERLIN Nr.
5407 vom 13.12.1997 Seite 36 Kultur Kommentar Hartmut
Krug
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